Wissen teilen 42 – Körpersignale noch besser verstehen – die Polyvagal-Theorie
Heute nun ein Ausflug in das autonome Nervensystem, dass so wichtig für unser Leben und Überleben ist:
Sie erinnern sich: In „Wissen teilen 19 – Embodiment“ haben wir über die Wechselwirkungen von Gehirn (Geist, Psyche), Körper und Umwelt gesprochen: ständige Rückkopplungsschleifen und keines dieser Systeme arbeitet ohne das andere.
Somit ist es für mich nur verständlich sich die wissenschaftlichen Erkenntnisse anderer Bereiche anzueignen und in ganzheitliche Betrachtungen einzubeziehen.
Ein Modell ist dabei besonders hilfreich:
die Polyvagal-Theorie
Im „Wissen teilen 5 zur Mañana-Kompetenz“ von 2015 haben wir uns ausführlich mit dem sympathischen und dem parasympathischen System auseinandergesetzt.
Die Hauptaussage war: den Parasympathikus müssen wir selbst aktivieren, damit wir wieder in Zustände von Ruhe und Sicherheit kommen – und uns erholen und unser Energiefass auftanken können.
Der Sympathikus steht für den Aktivierungszustand – und aktiviert wird er durch vielfältige Auslöser.
In der Zwischenzeit wurde das autonome Nervensystem in seinem Aufbau und seiner Wirkungsweise klarer definiert.
Ganz, ganz vereinfacht ausgedrückt unterscheiden wir nun zwischen drei Zuständen:
Beteiligt sind hier vor allem der vordere und hintere Vagus-Ast und das sympathische System.
Die Informationen, ob „Rot-Gelb-Grün“ angebracht ist, erhält unser Körper aus den Sinnesreizen aus der Umwelt und dem Körper, aber auch aus den gespeicherten Erfahrungen: also wieder aus Gehirn (Geist, Psyche), Körper und Umwelt.
Ein Beispiel aus dem Tierreich, dass veranschaulichen soll, wie und warum diese Systeme arbeiten:
Stellen Sie sich vor, der Löwe sieht einen Hasen und jagt ihn. Der Hase flüchtet – sein sympathisches System ist jetzt aktiv. Nun hat der Löwe es trotzdem geschafft und den Hasen erwischt. Für den Hasen besteht jetzt Alarmstufe „Rot“, der hintere Vagus-Ast wird aktiviert, Muskeln und Bindegewebe verlieren den Tonus, geben nach, erschlaffen, der Körper wird schwer, die Herzfrequenz sinkt, der Blutdruck fällt… – der Körper des Hasen schaltet ab. Dies kann für den Hasen unter Umständen lebensrettend sein. Nicht selten hilft „Totstellen“, damit der Gegner von einem ablässt – nicht nur in der Tierwelt.
(Mehr zur normalen Aktivität des Sympathikus und des hinteren Vagus-Astes sowie den „Übergängen“ zwischen den Systemen (Hybrid-Kreisläufe), die ebenso wichtig sind, in diesem wunderbaren youtube-link von Somatic-experiences-Berlin: Der Polyvagal Kreis https://www.youtube.com/watch?v=2hc9PPN7L2c)
Aber warum ist das autonome Nervensystem so wichtig für uns?
Es arbeitet unwillkürlich und es stellt sicher, dass Atmung, Herz-Kreislauf, der Hormonhaushalt, die Muskelspannung, die Magen-Darm-Tätigkeit, der Gesichtsausdruck, die Stimme und das Hören auch wirklich funktionieren.
Und nun stellen Sie sich bitte vor, dass dieses autonome System nicht mit den richtigen Informationen aus dem Gehirn (Geist, Psyche), dem Körper oder der Umwelt versorgt wird.
Stellen Sie sich vor, gespeicherte negative Erfahrungen (Gefühl der Unsicherheit/ Angst) eines Ereignisses im Leben einer Person werden wieder aktiviert, weil ein „Auslöser“ in Hier und Jetzt aufgetreten ist.
Oder diese Person hat Fehlhaltungen des Körpers entwickelt und „schnürt“ nun ständig die Verbindung der Nervenfasern aus den inneren Organen zum Gehirn hin und zurück in den Körper ab…
Schwierig wird es also, wenn das sympathische System und der hintere Vagus-Ast chronisch aktiviert werden – egal durch welchen Auslöser.
Und gut zu wissen ist:
Wir können gezielt den vorderen Vagus-Ast wieder in Schwung bringen und damit Stoffwechsel, Blutkreislauf und Wärmehaushalt in die richtigen Bahnen lenken und somit regenerieren, soziale Nähe und Kontakt suchen – wir fühlen uns wieder sicher!
Liebe Leser, ich habe in meinen Beschreibungen zur Funktionsweise alles sehr vereinfacht gehalten. Interessanter wird es, wenn Sie das Buch von Stanley Rosenberg: „Der Selbstheilungs-Nerv: So bringt der Vagus-Nerv Psyche und Körper ins Gleichgewicht“ lesen. Vor allem, weil Sie in diesem Buch viele Bezüge zur Beratungs- und Trainingspraxis herstellen können. Ihre Wahrnehmung der Körpersignale – der eigenen und der der Anderen – wird geschult und Sie erhalten kleine, sehr einfache Übungen zum Ausprobieren.
In Zeiten, in denen wir alle vielen Sinnesreizen, Informationen und körperlichen Inputs ausgesetzt sind, lohnt es sich, diese kleinen Übungen zur selbständigen Aktivierung unseres vorderen Vagus-Astes als Geschenke anzunehmen. Ich bedanke mich jedenfalls ganz herzlich bei dem Kollegen, der mir dieses Geschenk machte, in dem er mir dieses Buch empfahl!
Ihnen allen viel Freude beim Weiterlesen und Ausprobieren,
Ihre Antje Wegmeth
Literatur: Rosenberg, Stanley: Der Selbstheilungs-Nerv: So bringt der Vagus-Nerv Psyche und Körper ins Gleichgewicht: VAK-Verlags GmbH: Kirchzarten bei Freiburg. 2020
youtube-link von Somatic-experiences-Berlin: Der Polyvagal Kreis: https://www.youtube.com/watch?v=2hc9PPN7L2c
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