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Wissen teilen 23 – Neuigkeiten vom AFNB-Kongress – 19.12.2015

Heute nun eine Zusammenfassung vom AFNB-Kongress:

„The Best of Neuroscience 2015“ im Dezember 2015

mit Vorträgen von

Prof. Dr. Eric Kandel

Prof. Dr. Dr. Gerhard Roth

Prof. Dr. Gerd Gigerenzer

Prof. Dr. Ulrich T. Egle

Prof. Dr. Christian Büchel

 

Prof. Dr. Ulrich T. Egle: „Gehirn und Schmerz“

Wussten Sie, dass Angsterkrankungen unterdiagnostiziert sind?

Vor allem bei Patienten mit chronischem Schmerzempfinden. Es wird sich auf den Schmerz konzentriert, die Angst „bleibt unterm Teppich“.

Aus Angst vor weiterem Schmerz lassen wir es lieber mit der Bewegung, gehen in die „Schonungshaltung“. Damit verhindern wir jedoch den adäquaten Umgang sowohl mit der Angst als auch mit dem Schmerz.

Fibromyalgie – also Ganzkörperschmerz – ist ein Phänomen, dass immer mehr Patienten zeigen. Hier funktioniert der Schmerzverarbeitungszyklus nicht mehr. Das Schmerzverarbeitungssystem ist im Körper jedoch identisch mit dem Stressverarbeitungsystem.

Nun stellen Sie sich vor, welche Auswirkungen Schmerzerkrankungen und -empfinden auf Ihre Arbeitnehmer haben, vor allem wenn die Grundursache „Angst“ gar nicht „mit-behandelt“ wird.

Und überlegen Sie, wie es ist, wenn Dauerstress zur pathologischen Stressverarbeitung – und damit auch Schmerzverarbeitung – (siehe auch Wissen teilen 5 – Mañana-Kompetenz oder wie wir die Gelassenheit zurückerlangen: Die Cortisolwerte bleiben auf einem hohem Level!) führt. Es ist nachgewiesen, dass eine pathologische Stressverarbeitung, z.B. durch stark wechselnde Belastungen, aber auch durch dauerhafte verbale Bedrohung, Geringschätzung … Hirnbereiche schädigt. Die Amygdala (der Mandelkern: paariges Kerngebiet des Gehirns; Teil des Limbischen Systems) vergrößert sich, der Hör-Cortex wird empfindlicher. Einige Grundlagen für eine pathologische Stressverarbeitung werden schon in der Kindheit angelegt – und zusammen mit anderen Faktoren zeigen sich die Auswirkungen dann im Erwachsenenalter.

Manfred Spitzer beschäftigt sich z.B. seit Jahren mit der „digitalen Demenz“, die durch Lernerfahrungen im Kindesalter vorprogrammiert ist. Aber z.B. eben auch verbale und körperliche Gewalt oder emotionale Vernachlässigung u.v.m. können zusammen auftretend zu schweren Schädigungen im Stress- und Schmerzverarbeitungssystem führen.

Ich denke, dies gibt zu denken – nicht nur für Gesundheitsmanager…

Prof. Dr. Ulrich T. Egle bringt dazu wichtige Inputs:

  1. Zum Beispiel spielt die Erwartungshaltung eine starke Rolle auf das Schmerzempfinden: Wenn ich weiß, was auf mich zukommt, bin ich weniger schmerzempfindlich!
  2. Je mehr Oxytoxin = Kuschelhormon, desto stressunempfindlicher sind wir.
  3. Durch den Zugang zu eigenen Gefühlen und Bedürfnissen und denen der Anderen entwickele ich reife Konfliktlösungsstrategien.
  4. Stress-induzierte Hyperalgesie (übermäßige Schmerzempfindlichkeit) abgrenzen zu anderen Krankheiten! Nicht nur Schmerztherapien allein, sondern auch Entspannung, Sport….

 

Prof. Dr. Christian Büchel: „Wie Wahrnehmung und Erwartung unser Handeln bestimmen“

Wahrnehmung hat insgesamt nur sehr wenig mit dem zu tun, was wir fühlen, sondern viel mehr mit dem, was wir erwarten.

Also die Erwartung – die auch aus meinen Erfahrungen der Vergangenheit resultiert – bestimmt meine Wahrnehmung.

Die Amygdala (der Mandelkern: paariges Kerngebiet des Gehirns; Teil des Limbischen Systems) wird unterschiedlich „angeregt“ bei unterschiedlichen Gesichtsausdrücken unserer Gegenüber. Nebenbei gesagt, sind wir Menschen wahre Gesichtsexperten, zumindest bezüglich der Menschen, in deren kulturellem Umfeld wir aufgewachsen sind. Emotionalität können wir sehr scharf selektieren und bauen dazu im Laufe des Lebens zu bestimmten Emotionsäußerungen im Gesicht Erwartungshaltungen auf, was diese bedeuten.

Zeigt unser Gegenüber also einen ängstlichen Gesichtsausdruck, so wird die Amygdala stark angeregt – dies kann ja Gefahr für uns bedeuten! Sehen wir gleich mehrere Menschen mit ängstlichem Ausdruck im Gesicht, erwarten wir Gefahr (gleichbleibende Emotion und variable Personen -> Erwartung: Gefahr!)

Wie können wir nun umgekehrt den positiven Effekt von Erwartungen nutzen? Zum Beispiel, indem wir etwas „ansagen“: „Jetzt gebe ich..““ Jetzt wird gleich …. passieren“

So kann eine Erwartung an eine Therapie zum Beispiel schon Schmerzen lindern. So wirkt auch ein Placebo! Das Placebo- Areal im Gehirn hat eine Verbindung zum absteigenden Schmerzsystem -> es werden körpereigene Opiate ausgeschüttet.

Vorsicht Nozebo-Effekt (der böse Bruder des Placebos): Bei Aufklärungen über Nebenwirkungen eines Produktes werden die Nebenwirkungen höher, wenn ich sie erwarte.

Und was ist rein kognitiv (Denken im umfassenden Sinn) besser – Ablenkung vom Schmerz oder Konzentration auf den Schmerz? Kognition moduliert die Schmerzwahrnehmung, d.h. die Ausprägung der Schmerzwahrnehmung ist geringer bei schwierigen Aufgaben, schwierigen Denkvorgängen….

 

Prof. Dr. Gerd Gigerenzer: „Intuition und Führung“

Intuitive Regeln führen oft zu besseren Ergebnissen als komplexe Analysen.

Was ist aber erst einmal Intuition? Intuition ist gefühltes Wissen, dass rasch ins Bewusstsein auftaucht, dessen tiefere Gründe uns nicht bewusst sind und dass stark genug ist, danach zu handeln.

Größte Teile des Gehirns können sich nicht sprachlich ausdrücken, aber sie speichern Information.

Der Fehler bei Entscheidungsfindungen besteht allerdings darin, dass wir oft die Ratio über die Intuition stellen statt beides gegenüber zu stellen. Damit ist gemeint, dass bei bekannten Risiken oft rationale Vorgehensweisen hilfreich sind für das Erreichen guter Ergebnisse, bei unbekannten Risiken oft intuitive Regeln zu besseren Ergebnissen führen.

Wie funktionieren jedoch intuitive Regeln?

Beispiel „Ballsport“:  Hier gibt es viele unbekannte Risiken und das bedeutet, wir suchen uns eine einfache Regel, die das Problem (Ball fangen im Lauf) löst. Wir schätzen, berechnen also nicht die Flugbahn des Balles, sondern benutzen eine „Blick-Heuristik“: „Fixiere den Ball, halte den Blickwinkel konstant, laufe dabei.“ Der konstante Blickwinkel ist dabei die entscheidende Größe. (Doch darüber denken wir nicht bewusst nach.)

Aufgabe ist es also, intelligente Heuristiken explizit zu machen, sie herauszuarbeiten – das Unbewusste bewusst zu machen!

Oft werden Bauchentscheidungen oder das Benutzen von Intuition im Alltag nicht zugegeben. Eher suchen wir im Nachhinein für unsere Bauchentscheidung eine rationale Begründung! Unsere Angst vor Verantwortungs-übernahme bei Entscheidungen führt dazu.

Oder wir entscheiden gleich defensiv: „Wir sollten also A wählen, also schlage ich B oder C vor. Da kann man nichts falsch machen, das sind die sichereren Varianten als A!“

Äußerungen in Ihrem Arbeitsalltag, die auf defensives Entscheiden hinweisen, sind: „Bei uns darf man keine Fehler machen.“ oder „Wir haben keine Fehlerkultur.“

In der defensiven Fehlerkultur wird nach Schuldigen gesucht – in der positiven Fehlerkultur dürfen „Fehler passieren und geben uns Information -> dadurch sind Anpassungen und Änderungen möglich“ (Beispiel: internationale Fluggesellschaften).

Wie können wir Innovationen verlangsamen?

  • Misstraue Bauchentscheidungen!
  • Verlange eine rationale Begründung jeder neuen Idee!
  • Schaffe eine Absicherungskultur mit Dokumentation und defensiven Entscheidungen!

Und was empfiehlt Herr Prof. Dr. Gerd Gigerenzer zu Heuristiken und Führungsverhalten:

  • Menschen erst zuhören, dann sprechen!
  • Stelle gute Leute ein und lasse Sie Ihre Arbeit tun!
  • Wenn ein Mensch nicht ehrlich und vertrauenswürdig ist, spielt der Rest keine Rolle!

Und zum Schluss ein kleines Beispiel, wie man intuitives Handeln wunderbar verhindern kann:

Sagen Sie mal einem Experten im Golf vor seinem Abschlag: „He, bist Du gut heute? Wie machst Du das nur?“

 

Und nun die Zusammenfassung des Vortrags zur Gehirnstruktur und was diese neuen Forschungsergebnisse für uns bedeuten:

 

Prof. Dr. Dr. Gerhard Roth: „Wie das Gehirn die Seele macht“

Das limbische System (eine Funktionseinheit des Gehirns) gilt als Sitz der Persönlichkeit und der „Psyche“:

Die untere limbische Ebene ist überwiegend genetisch und durch vorgeburtliche Einflüsse bedingt und macht unser Temperament aus. Sie ist durch Erfahrung und Erziehung kaum zu beeinflussen. Grundlegende Persönlichkeitsmerkmale , wie Offenheit/ Verschlossenheit, Selbstvertrauen, Kreativität… werden hier zugeordnet.

Epigenetk nennt man den Einfluss vor der Geburt – durch das Gehirn der Mutter.

Unser Temperament ist also nicht nur genetisch geprägt, sondern auch epigenetisch.

Die mittlere limbische Ebene wird nach der Geburt, in der frühkindlichen Phase geprägt. Sie ist die Ebene der unbewussten emotionalen Konditionierung (Furcht, Freude, Ekel, Neugierde…) – sie ist auch der Ort der unbewussten Wahrnehmung emotionaler kommunikativer Signale (Blick, Mimik, Gestik…) Der Begriff „infantile Amnesie“ beschreibt die unbewusste Abspeicherung.

Beide Eben zusammen machen die Persönlichkeit aus!

Die obere limbische Ebene ist die Ebene des bewussten sozial-emotionalen Lernens, wie z.B. Gewinn- und Erfolgsstreben, Freundschaft, Liebe, Moral … Sie entwickelt sich in der späten Kindheit, im Jugendlichen-Alter und ist sozial vermittelt. Dies ist zum Beispiel wichtig, wenn man bedenkt, dass „soziale Kommunikation denken und lernen“, z.B. dass man Angst nicht mit Bedrohung verwechselt, und „das Lernen von Empfinden von emotionaler Empathie“ schon in der Kindheit „angelegt“ werden oder eben auch gestört werden kann. Störungen im oberen limbischen System können zum Fehlen der bewussten Einschätzung des Verhaltens Anderer führen.

Allerdings ist auch wichtig, dass Motivation – als das Streben nach Positivem und das Vermeiden von Negativen – in der oberen limbischen Ebene verankert sind und das Motivationssystem z.B. durch Blickkontakt mit einem freundlichen Menschen aktiviert wird.

Weiterhin gibt es noch die kognitive Ebene. Hier sind das Denken, die Sprache etc. angesiedelt – aber diese Zentren können nicht selbst Entscheidungen treffen. Sie haben keinen direkten Zugriff auf die Amygdala (der Mandelkern: paariges Kerngebiet des Gehirns; Teil des Limbischen Systems).

Erst in jüngster Zeit ist es der Hirnforschung in enger Zusammenarbeit mit Psychologie und Psychiatrie möglich geworden, plausible Antworten auf die Fragen zu geben, wie innerhalb der Interaktion von Genen und Umwelt das Psychische im Gehirn entsteht, wie sich unsere Persönlichkeit, unser Ich und unsere Handlungsmotive formen. Viele dieser Erkenntnisse stellen das traditionelle menschliche Selbstbild als ein geistig-rationales Wesen und die Auffassung eines freien Willens in Frage.

 

 

Prof. Dr. Eric Kandel spannte mit „The Age of Insight (Das Zeitalter der Erkenntnis)“

den Bogen über alle Themen des Tages oder besser gesagt, er zeigte, wie herausragende Forscher und Künstler aus Naturwissenschaft, Medizin und Kunst seit 1900 übergreifend mit „Wissen rund um das Gehirn“ umgingen und dadurch unsere heutige Sicht auf die Dinge prägten.

Gerade dieser „verknüpfende“ Gedanke in seinen Ausführungen macht wunderbar deutlich, wie Lernen funktionieren kann und dass Weiter-Bildung nicht einseitig sein muss und sollte, um der komplexen Wirklichkeit gerecht zu werden.

 

Wissen miteinander teilen – Wissen verknüpfen – voneinander lernen – Gedanken, die mir gefallen!

 

Ich hoffe, Sie hatten gerade genauso viel Freude beim Lesen wie ich auf dem Kongress:-)